Vielfalt? Bläser? Klasse!

Methodenentwicklung für die inklusive musikalische Arbeit mit Bläserklassen an Schulen

Projektlaufzeit: 01.01.2016 bis 31.12.2016

Das Projekt wurde gefördert durch den Innovationsfond für Projekte zur Förderung der eigenständigen Jugendpolitik des Bundesministeriums für Familie, Senioren Frauen und Jugend.

Das Modell Bläserklasse ist eine erfolgreich praktizierte Variante für musikalische, persönlichkeitsentwickelnde Bildung an Schulen. Dabei werden Kinder an Musikinstrumente herangeführt und es wird ein Ensemblespiel angeboten. Über die letzten Jahre wurden musikpädagogisch ausgereifte Methoden entwickelt. Leider gibt es nur vereinzelt Praxis im Bereich der Inklusion. Die Deutsche Bläserjugend wollte die Lücke schließen und eine gesicherte Grundlage für die inklusive Bläserklassenarbeit schaffen. Dabei ging es um eine Bestandsaufnahme der bisherigen Praxis und eine Ableitung von Gelingensbedingungen. Für dieses Projekt konnten starke Partner gewonnen werden. Das Projekt wurde in Kooperation mit der Abteilung Schulmusik der Hochschule für Musik Mainz, dem Institut für Musik der Universität Koblenz-Landau sowie mit dem Musikinstrumentenhersteller Yamaha Music Europe durchgeführt.

Als Projektziel war uns wichtig, das Thema Inklusion verstärkt in den Fokus der musikalischen Kinder- und Jugendarbeit zu rücken. Es sollte ein Praxisleitfaden für die inklusive musikalische Arbeit in der Bläserklasse an Schulen entwickelt werden. Darin wollten wir die Ergebnisse unseres Projektes darstellen und Hinweise auf gute Praxis aber auch auf Probleme und Forschungs-/Handlungsbedarf geben. Das Material sollte so angelegt werden, dass es auch für weitere musikalische Projekte außerschulischer Träger an Schulen nutzbar ist. Unsere Ergebnisse wollen wir zudem beim Yamaha Bläserklassenkongress sowie auf Tagungen des Verbandes thematisieren und so eine Weiterbeschäftigung mit dem Thema sowie die Weiterentwicklung anregen. Um dieses Ziel zu erreichen, gingen wir wie folgt vor: zuerst gelang es uns, an den Hochschulen kompetente Personen für unser Projekt zu gewinnen. So konnten wir auf eine fundierte wissenschaftliche Grundlage bauen. Zugleich wurde das Thema Inklusion in verschiedene Gremien und Tagungen des Verbandes behandelt, um Impulse zu setzen.

Unsere Projektmitarbeitenden entwarfen einen Fragebogen zur inklusiven Bläserklassenarbeit. Damit sollte der Ist-Stand erhoben werden. In einer zweiten Erhebungsstufe folgte eine explorative Untersuchung von Bläserklassen an Schulen. Hier sollten Beobachtungen der Ausbildungssituation, eine Situationsanalyse an der Schule, sowie Befragungen von beteiligten Lehrkräften und Kindern erfolgen. Die zu besuchenden Schulen sollen als repräsentative Stichproben ausgesucht werden. In der dritten Stufe sollten dann Gelingensbedingungen herausgearbeitet werden. Für die Fragebogenaktion wurden 5649 Einladungs-E-Mails versandt. Der Rücklauf lag bei 13,5 %: von den 765 beantworteten Fragebögen können 538 Fragebögen in die Datenauswertung einfließen.

Mit der Studie konnten wir zeigen: die Bläserklasse ist die häufigste Form des Klassenmusizierens gefolgt von Gesangs- und Flötenklassen. Prozentual auf die jeweiligen Musikklassen betrachtet, liegt die Bläserklasse mit Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im hinteren Feld (Inklusionsquote: 42,2 %). Gitarren-, Keyboard- und Flötenklasse liegen jeweils mit mehr als 58 % mit integrierten Schüler:innen mit Förderbedarf über dem Durchschnitt. In der Datenauswertung wurde deutlich, dass in über der Hälfte der Bläserklassen lediglich ein:e Schüler:in mit diagnostiziertem sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet wird. Vor allem Kinder mit Förderschwerpunkt Lernen finden sich in Bläserklassen (37 %). Dieses Ergebnis spiegelt den prozentualen Anteil von Schüler:innen mit Förderschwerpunkt Lernen wider, der allgemein in Deutschland im Schuljahr 2013/14 festgestellt wurde. Auffällig ist, dass ein großer Teil von Schüler:innen mit Förderbedarf emotionale/soziale Entwicklung in Bläserklassen integriert wird (35 %). Vergleicht man dieses Ergebnis mit der Klemm-Studie (15 %), ist zu hinterfragen, warum in Bläserklassen übermäßig viele Kinder mit diesem Förderschwerpunkt integriert werden (können).

Für die explorative Studie wurden vier repräsentative Schulen ausgewählt.

  • Adolf-Grimme-Gesamtschule in Goslar,
  • Integrierte Gesamtschule Ernst Bloch in Ludwigshafen-Oggersheim,
  • Elisabeth-Selbert-Gesamtschule in Bonn-Bad Godesberg,
  • 56. Oberschule Am Trachenberg in Dresden.

Hier sollte die gemeinsame Bläserklassenarbeit beobachtet und die verschiedenen Statusgruppen interviewt werden. Dabei kamen insbesondere die Kinder zu Wort. Nach Auswertung der Befragungen können folgende Ergebnisse festgehalten werden: Es liegen verschiedene Inklusionsverständnisse bei den Leitungen der Bläserklassen vor. Längst nicht alle Leitungen haben ein Inklusionsverständnis im Sinne der Diversität. Leitungen benennen zudem Grenzfälle von Inklusion. Als Gelingensbedingungen sind festzuhalten:

  • Faktor Schule: bauliche Ausstattung, Klassengröße, zusätzliches Personal, Existenz von Helfer:innensystemen (Eltern, Experten, Lehrkräfte),
  • Zeitlicher Faktor (Musikalische Arbeit: Förderung, Individualisierung – Arbeitszeit: Vorbereitungsaufwand zur Differenzierung),
  • Faktor Wissen und Kenntnis zum Thema Inklusion, Fortbildung (auch in Bezug auf Case Management)
  • Faktor Bläserklasse: Ausstattung/Instrumente, Fachkompetenz der Lehrkraft, Vorhandensein zusätzlicher Instrumentallehrkräfte – Kooperationen mit Musikschulen, Curriculare Anpassung an Heterogenität und Inklusion, Engagement und Eigeninitiative der Lehrkraft

Sehr spannend ist, dass die Leitungen von Bläserklassen mehrheitlich bestätigten, dass ihre Inklusionserfahrung sehr positiv ist. Es kann die Unauffälligkeit von diagnostiziertem Förderbedarf in Bläserklassen festgestellt werden. Kinder mit Förderbedarf benötigen keine besondere Förderung, stören die Bläserklasse insgesamt nicht mehr als Kinder ohne Förderbedarf. Bläserklassenunterricht ist zudem soziales Lernen. Er trägt damit zu einem guten Klima unter den Schüler:innen bei. Zu den Unterrichtsstörungen kann festgehalten werden: Störanfälligkeiten unterscheiden sich nicht wesentlich im inklusiven Feld. Ein Rückschluss der Störungen auf Inklusion lässt sich nicht nachweisen!

Aus unserem Projekt lassen sich daher folgende Thesen ableiten:
Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf lassen sich in Bläserklassen unauffällig inkludieren. Das Gelingen von Inklusion ist in entscheidendem Maße von der Qualität des Anleitens des gemeinsamen Musizierens abhängig. Inklusion wirkt hier als eine Art Verstärker. Sie kann bei gutem Anleiten sehr einfach eingebaut werden. Sie zeigt aber bei schlechtem Anleiten sehr schnell die Probleme.
Es existiert eine Diskrepanz von deklarativem Wissen und Handlungswissen. Inklusion in Bläserklassen erfordert eine polyvalente Kompetenzstruktur der Lehrkraft (Kenntnisse zu Bläserklassen und Wissen zu Inklusion/Heterogenität).

Für uns bedeuten die Projektergebnisse daher:

  • Die Methode Bläserklasse kann in Bezug auf Inklusion als passend und erfolgversprechend angesehen werden. Hier können wir noch viel mehr!
  • Die musikpädagogische Anleitung mit vielfältigen Methoden erscheint noch wichtiger, weil sie eine entscheidende Bedingung für das Gelingen von Inklusion darstellt. Hier gilt es weiterzumachen bei der Schulung von Ausbildenden!
  • Es ist noch mehr Wissen über Inklusion nötig. Hier müssen wir uns weiter um eine Stärkung des Wissens in der Fläche bemühen!
  • Es sind eine Vielzahl von kleineren und größeren Faktoren für das Gelingen von Inklusion über Musik nötig. Wir werden in den nächsten Schritten schauen, wo weitere Ansatzpunkte für die Arbeit des Bundesverbandes ableitbar sind.

Wenn Sie gern mehr Informationen hätten, schreiben Sie uns an: inklusion@deutsche-blaeserjugend.de